Der Wolf (John Katzenbach)

(c) JARZINA kommunikations-design, Holzkirchen; Umschlagsmotiv: www. istockphoto.com

Autor: John Katzenbach
Titel: Der Wolf
Verlag: Droemer HC / Weltbild
Erscheinungsdatum: 01. Oktober 2012
Seitenzahl: 512
Originaltitel: Red 123
ISBN-10: 3426198258
ISBN-13: 978-3426198254

Rezension

John Katzenbachs “Wolf” ist die Geschichte eines vermeintlich kurz vor dem eigenen Ableben stehendem, in Wirklichkeit jedoch sehr agilem fünfundsechzigjährigem Buchautor, der seinen (erneuten) Coup, diesen Mal nach einem Märchen der Gebrüder Grimm, plant.
Rotkäppchen ist das Werk seiner Wahl, sowohl was die literarische, als auch kriminalistische Umsetzung betrifft, denn die von ihm auserkorenen Opfer, im weiteren Buch von ihm als ‘die Roten Drei’ bezeichnet, sollen alle am gleichen Tag auf jeweils unterschiedliche Art und Weise getötet werden. So entstünde das schon oft zuvor von etlichen anderen, gescheiterten ‘Visionären’ angestrebte, perfekte Verbrechen.

Trotz der auf den ersten, äußeren Blick nur eines – ihre Haarfarbe – gemeinsam habenden, ansonsten vollkommen verschieden erscheinenden Frauen: Rote Eins, Dr. Karen Jayson, ist eine 51-jährige Internistin, welche in ihrer Freizeit leidenschaftlich Standup-Comedy betreibt. Rote Zwei, Sarah Lacksley, verkörpert widerum eine verzweifelt, um ihre kürzlich bei einem Autounfall verstorbene Tochter und ihren Mann, trauernde Mittelstufenlehrerin und die dritte im Bunde, die zukünftige College Studentin, Jordan Ellis, deren Eltern sich scheiden ließen, ist schulisch abgestürzt, einsam und ausgegrenzt – stechen einen sofort die jeweils schwierigen Lebensumstände der Protagonisten ins Auge.

Durch den eindeutigen Drohbrief des Bösen Wolfs, den jede am Anfang des Buches erreicht, gewinnen die drei Gleichgesinnten jedoch ganz individuell etwas aus ihrem bisherigen Leben zurück.Wut weicht Apathie, Gleichgültigkeit entwickelt Mut und Trauer, Verzweiflung, sowie Isolation wandelt sich zur Rebellion, so dass auch der Leser stets eine gute geschilderte, stellenweise spannende Einführung in die Lebensumstände sämtlicher Beteiligten erhält.

Auch die Geschichte an sich wirkt ausgeglichen mit dem richtigen Maß an Abwechslung und Tiefgründigkeit, dafür sorgt zum Beispiel die bereits nach wenigen Kapiteln erste kleine Wendung durch den unerwarteten, allerdings sehr authentisch dargestellten Auftritt von „Mrs. Böser Wolf“, welcher später zu erneuten Überraschung eines jeden, noch eine viel tragendere Rolle in diesem Werk zu Teil werden soll.

In der Handlung fortschreitend, reagieren die drei Frauen, nach den ersten euphorischen Ereignissen, auf den vom Bösen Wolf ausgeübten Schrecken, jedoch alle gleich. Neben der Angst und Panik, die zunehmend von ihnen Besitz ergreift, kommen sie zu dem trügerischen Schluss, sich nur allein und gewaltsam am Besten zu Wehr setzten zu können…
Dabei kristallisiert sich ebenso heraus, dass sie im Vertrauten, dort wo sie sich am Sichersten fühlen, in Wahrheit am Gefährdetsten sind. So wie einst Rotkäppchen bei ihrer Großmutter ihrem Verfolger in die Falle ging.

Ist das alles nur ein makaber ausgeklügelter Plan eines Frustrierten (Autoren, der ein Bestseller schreiben möchte) oder geht es für die drei Roten tatsächlich um ihr Leben?

Die jüngste des Trios geht nicht nur dieser Frage auf den Grund, sondern bewahrt durch ihr freches, kämpferisches Auftreten, was zwar ebenfalls der Not geschuldet ist, in vielen Situationen einen klaren Kopf. Beispielsweise auch, als der zweite Brief vom Wolf mit einem Youtube-Link ihrer Observation, bei ihr auftaucht und sie dadurch wiederum die Möglichkeit einer Kontaktaufnahme mit den anderen ‘Auserwählten’ wittert. Nach anfänglichen Schwierigkeiten dies zu realisieren, finden mit teilweise amüsanten Ablenkungsmanövern – schließlich glaube alle, stets zu jeder Zeit von einem gefährlichen ‘Raubtier’ verfolgt zu sein – Karen und Jordan zu einander. Auch die Verbindung zu Sarah kann alsbald geknüpft werden.

Parallel dazu erfährt man kontinuierlich mehr von den Träumen und Wünschen (sowie allgemein aus dem Leben) von Mrs. Böser Wolf; wobei sich der Wolf selbst auf direkte Recherche bei der örtlichen Polizei begibt.
Hier schafft Katzenbach wiederum einen interessanten Vergleich zwischen (Autoren-)Realität und Fiktion, denn Schriftsteller und Mörder, sind zugleich auf der Suche nach Informationen, währenddessen für den Leser das zu sehen ist, was auch Jordan schon zu Beginn auffiel. Nämlich die Tatsache, dass auch der Böse Wolf, wie seine vermeintliche Beute, im Prinzip einfach nur unzufrieden ist, mit seinem Dasein hadert, sich in einem Wandel der Lebensumstände befindet und der Einsamkeit mit seiner Frau durch Ruhm entfliehen will. Dies motiviert ihn sein Werk fortzusetzen.

Indes lernen sich die Drei Roten auf humorvolle Art kennen und planen zusammen ihr weiteres Vorgehen. Einerseits die Normalität des Alltags zu wahren, anderseits aber auch ihren Peiniger anzulocken, um dann weiter handeln zu können. Auch Mrs. Böser Wolf lernt neue Aspekte ihres zuvor so gewöhnlich verlaufenden Lebens kennen, da sie das wahre Naturell ihres Mannes entdeckt. Psychologisch ist diese Situation besonders spannend dargestellt, weil sich die Bewunderung von Mrs. Böser Wolf gegenüber dem literarischen Talents ihres Mannes, nach dem stillen lüften des Geheimnis, in sich steigernde Eifersucht auf die Roten wandelt. Eine absolut interessante, neue Perspektive, die dem immer über die Fallentwicklung spekulieren könnendem Leser an dieser Stelle präsentiert wird.

Der dritte Kontakt, ein „Schweigetelefonat“ des Bösen Wolfs, lässt die langsam einander immer näher vertrauten Frauen, wieder aus ihren Bewältigungsstrategien reißen und in die jeweilige Realität zurück führen.
Ebenso versinkt Mrs. Böser Wolf tief in (Selbst-)Zweifeln, bis es schließlich zu einem voraussehbaren Wendepunkt kommt und sie ihren Mann letztes Endes zur Rede stellt. Widererwarten löst sie mit diesem Gespräch weder einen Fahrschein ins Jenseits, noch den für die Freiheit aus, sondern es läuft alles weiter, wie bisher. Mit der Ausnahme, dass sie nun einfach in die Planung des Bösen Wolfs „involviert“ und somit indirekt sogar zur Komplizin wird.Wölfe sind schlussendlich auch Rudeltiere und wollen ihre Tarnung, aber auch Bequemlichkeit nicht verlieren.

Derweil mobilisieren Karen, Sarah und Jordan neue Kräfte und ringen sich dazu durch ihre spontan entwickelte Idee in die Tat umzusetzen: Eine von ihnen muss sterben. Anders lässt sich der Bösen Wolf nicht aufhalten – Die selbst getroffene Wahl fällt auf Rote Zwei, da sie aufgrund des Verlustes ihrer Angehörigen die letzten Monate dem Tod sowieso näher, als dem Leben war. So verschwindet Sarah fulminant von der Buchoberfläche, was den Bösen Wolf zunächst unsagbar wütend zurück lässt. Allerdings nur kurzzeitig, da er den Freitod gleich zum Anlass nimmt, sich diesen ruhmreich auf sein zu schreiben und unbeirrt an seinem Werk festzuhalten.

Dies Ereignisse bilden wenig später den Auftakt zu einem spannendem Finale, in dem die Gejagten selbst zu Jägern werden und mehr als zwei Rollen miteinander getauscht werden.
Bis die eigene Moral einen schließlich wieder ein und zurück auf den Boden der Tatsache holt oder vielmehr zum Ende des Romans führt.

Ein Kriminalroman der absolut gut geschrieben ist, ohne dabei auch nur einen direkten Mord zu schildern. Welcher zudem durch die bewusst angelegten Paradoxon der „Roten Drei“, sowie der Gedankengänge des „Bösen Wolfes“ ein interessantes, psychologisches Geflecht bildet und auch mit den sich abwechselnden Kapiteln der Täter,- und Opfersicht eine gut strukturierte Handlung bietet. Die tollen Parallelen von den Kriminalanalysen beziehungsweise Ermittlungsmethoden zum literarischen Schriftstellen sind ebenso positiv, wie der von Herrn Katzenbach zu erwartende Sarkasmus und schwarzer Humor.
Schön gewählte Metaphern, der zwischen New York und Boston spielenden Geschichte, („Er hämmerte energisch in die Computertastatur und stellte sich dabei vor, er säße am Schlagzeug einer Rockband – der Herzschlag der Musik.“) runden diesen Eindruck noch einmal ab.

Und durch den permanenten Spannungsbogen aufgrund der verbalen Entfremdung des Täters zum ‘Bösen Wolf’ und die Ungewissheit, welcher Charakter nun inwiefern mit welchem Handlungsstrang verwoben ist, wird man als Leser definitiv an das Werk gefesselt. Auch die einmal andere Thematik der Täteraspekte mit dem Leben von Mrs. Böser Wolf, sowie die Beleuchtung der Planung der Morde vom Bösen Wolf stellen eine Diskussionsbasis und einen klaren Lesegrund dar.

Wie ansonsten aus einem Zitat aus einem der letzten Kapitel des Buches hervorgeht sind die Worte die das Geschehen begleiten, viel wichtiger, als alles andere. „[…]Es geht darum, den Leser auf diese Reise mitzunehmen.[...]“ und dies ist mit dem ‘Wolf’ auf jeden Fall gelungen.

Was also bleibt: Das, wenn man sich in verzweifelten Situation zusammenschließt, man gemeinsam immer stärker, als alleine, ist und das alles was man im Leben tut, irgendwann auf einen selbst zurück fällt. Eine Weisheit, die ich seit jeher unterstütze, gerne zusagen pflege und die das Buch authentisch zurück lässt.

Quotes:

  • Perfekte Verbrechen gab es selten, doch sie kamen vor. Gewöhnlich waren sie weniger dem Genie der Kriminellen geschuldet als der zuverlässigen Inkompetenz der Ermittlungsbehörden, und normalerweise lief es auf die banale Frage hinaus, ob der Täter damit durchkam oder nicht. Zufällig perfekte Morde wäre wohl die angemessenere Bezeichnung, denn mit einem Mord ungeschoren davonzukommen, war eigentlich keine allzu große Herausforderung. Echte perfekte Verbrechen dagegen bildeten eine Klasse für sich [...]
  • Planen, Ausführen, Entkommen. Er schmunzelte bei dem Gedanken, dass dies die Heilige Dreifaltigkeit des Serienmörders war.
  • Unter gefährlich verstand die Post der Vereinigten Staaten Drogen, Gift oder Flüssigkeiten, die zur Herstellung von Bomben dienten. Dabei wusste er, dass sorgfältig gewählte Worte weitaus gefährlicher sein konnten.
  • Wir wollen nicht daran denken, dass wir Gejagte sind, dabei sind wir es Zeit unseres Lebens.
  • Wenn man sich nicht ständig weiter über den Tod schult, dann erteilt einem früher oder später der Tod selbst seine Lehre.
  • „Normal zu sein heißt noch lange nicht, dämlich zu sein“, sagte sie laut. Dabei war sie nicht ganz sicher, ob diese These stimmte.
  • Bedeutend besser zu wissen, was man tun muss und es nicht tun zu müssen, als nicht zu wissen, was man tun muss, wenn man keine Wahl hat.
  • In allen guten Schriftstellern steckt ein Journalist.

Wertung: 5,5 /7 Schreibfedern
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