Aus dem Leben eines Taugenichts (Joseph von Eichendorff)

(c) Umschlagzeichnung Ingeborg Stange-Friis (Hamburger Lesehefte Verlag Husum/ Nordsee)

Autor: Joseph von Eichendorff
Titel: Aus dem Leben eines Taugenichts
Verlag: Anaconda (31. Juli 2006)
Erscheinungsdatum: Erstmals im Jahre 1826
Seitenzahl: 127
ISBN-10: 3866470517
ISBN-13: 978-3866470514

Rezension:

Joseph von Eichendorffs Roman „Aus dem Leben eines Taugenichts“ beinhaltet die im frühen 19. Jahrhundert spielende, sowie in einer Ich-Erzählung dargebotene Lebensgeschichte eines jungen Mannes, der aus seinem soziologischen Umfeld, einer Art einschnürendes Korsett, auszubrechen versucht. Seine Erlebnisse werden in einer heutzutage als sehr angenehmen Abwechslung zur Mainstreamliteratur gewählten Sprache dargeboten, die wiederum durch ihre Anleihen an das Französische und altmodisches Vokabular, was trotzdem nicht antiquiert wirkt, besticht.

Der Ich-Erzähler, ein Müllerssohn, verlässt auf den ersten Seiten des Buches seinen Heimatort, um freiwillig als Landstreicher mit lediglich einer Geige, durch die Wälder zu wandern, wobei er schon nach einer nicht als sehr lang beschriebenen Reise zunächst Wien erreicht und fast sofort auch eine Anstellung an einem dortigen Schloss findet. Zunächst übt er sich im Gärtnern, später ist er auch für die Zoll-Einnahmen zuständig.
Wie das Leben oder die Liebe es so will widerfährt dem jungen Mann an eben diesem Schluss jedoch auch etwas, das zu jeder Zeit, nahezu jedem jungen, sowie älterem Menschen widerfahren kann – er begegnet dem anderen Geschlecht und fängt an zu schwärmen. Dies ist sogleich der Aufhänger für die weiteren „Abenteuer“ des Reisenden, denn als der Erzähler meint zu sehen, wie seine Angebetete von einem anderen Mann umworben wird, begibt er sich wieder auf Trebe und wandert gen Italien.

Auf dieser sich nahtlos anschließenden Etappe begegnet er zwei mysteriösen Gestalten, welche er zunächst für Straßenräuber hält und die sich später allerdings als Maler herausstellen. Mit selbigen reist er fortan in einer Postkutsche durch die Lombardei. Nach einiger Zeit trennen sich jedochc auch schon wieder die Wege der Gruppe und der junge Abenteurer wird vom Postillon, schließlich alleine, in einem scheinbar verwunschenen Bergschloss abgesetzt. Die gelungenen Schilderungen der dort anwesenden Menschen und der Umgebung erinnert an alte Vampirgeschichten, die zu der damaligen Zeit (man bedenke die Werbauern im 18. Jahrhundert) sicher bereits bekannt waren und soll auf jeden Fall eine gewisse Andersartigkeit verdeutlichen. Außerdem stößt man allmählich auf die im Hintergrund verborgene Handlung, da man gehäuft „auffälligen“ Personen im Umfeld des Erzählers begegnet, die sich um ihn herum ‘sammeln’.

Bald darauf trifft ein Brief ein, welcher der Geschichte eine Wendung verleiht und den Erzähler in einen wahren Freudentaumel versetzt, weil gleicher meint, dass er von seiner Wiener Angebeteten stammt. Im festen Glauben dessen türmt der junge Mann durch ein Fenster des gespenstig wirkenden Schlosses, nicht ohne zuvor noch miterlebt zu haben, wie die Schlossherren die Türen verriegelten und ihn somit versuchten einzusperren. Doch die Flucht gelingt und führt ihn nun nach Rom, wo er beim Eintreffen in der Metropole auch sogleich meint den Gesang seiner Angebeteten wiedererkannt zu haben.
Aber ist der Erzähler zu diesem Zeitpunkt vollends in einer Art Intrige gefangen oder ist ihm wirklich das Glück hold? Es war nämlich tatsächlich eine Angehörige der Wiener Adelsfamilie, die sich in Rom aufhielt – gemeinsam mit unterwegs getroffenen Prager Studenten macht sich der Erzähler daher sofort auf den Weg zurück nach Wien.
Nach einer Schifffahrt auf der Donau, auf welcher der Verliebte erfährt, dass eine Hochzeit – Seine mit der schönen Gräfin?! – geplant ist, kommt die Reisegruppe letztendlich in der österreichischen Stadt an. Doch in der Auflösung wird die Geschichte ziemlich geschickt wieder auf gesellschafts- und standesnormgerechte Schienen zurückgebogen, ein größerer Überraschungseffekt bleibt somit aus.

Der Titel des Werkes ist einerseits passend, andererseits nicht. Denn der Leser wird unmittelbar in die Handlung hineingeworfen, die ebenso schnell wieder endet. Insofern ist „Aus dem Leben…“ eine passende Beschreibung für eine Geschichte, die wie ein ausgewählter Abschnitt mit einprägsamen Schnittkanten, eines Lebensfilms wirkt. Auf der anderen Seite ist, zumindest nach heutigen Maßstäben, die Charakterisierung als „Taugenichts“ unzutreffend, da ein junger Mann, der das Selbstbewusstsein und den Mut hat, für seine Träume und Ideale ohne Sicherheiten in die Welt hineinzuziehen und der zusätzlich noch ein Gehör findendes Talent zum Geige spielen hat, definitiv kein Taugenichts sein kann. Insofern dürfte der Roman die Beschreibung eines verschleierten Gegenpols zu einer durch Stände, sowie gesellschaftliche Barrieren geprägten und unbeweglichen Gesellschaft sein, dass Hoffnungen und Träume in Lettern gießt.

Das Motiv einer Grand Tour, welche allerdings nicht durch einen Adeligen oder Bürgerlichen, sondern durch einen Handwerkersohn bestritten wurde, ist durch die Gleichheit von Zielen, Erlebnissen und der ungefähren Dauer ebenfalls nicht von der Hand zu weisen. Ein weiter Punkt der fortschrittlicheren, offeneren Gedankenwelt des ansonsten eher unter den Lyrikern zu findenden Autoren.

Dennoch kann es für einige Leser einen kleinen Wermutstropfen geben. Vielleicht weil die auf den ersten Seiten zu findenden Schilderungen der Natur und Landschaft beziehungsweise das Seelenempfinden des jungen Abenteuers manch einem eher banal erscheinen mögen, doch nach rund einem Viertel des Werkes sollte die sich gut aufbauende Spannung ausreichend Motivation für die restlichen Seiten dieses Klassikers bieten.
Auch die Balance der Traum- und Emotionsdarstellungen, sowie den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (man darf nie vergessen, dass die Handlungszeit das frühe 19. Jhr., mit allen Implikationen von gegebenen Gesellschafts- und Politikstrukturen, als auch technischen Entwicklungen, ist) ist nämlich insoweit gelungen, als dass man sich heute wunderbar verbildlicht nach damals zurückversetzten kann. Es lohnt sich also, diese kleine Lektüre aus der Spätromantik in die Hand zu nehmen, weshalb ich nicht nur für Liebhaber der ‘Eichendorff-Lyrik’, welche hier natürlich ebenfalls nicht zu Kurz kommt, eine Leseempfehlung aussprechen würde.

Quotes:

  • » Fliegt der erste Morgenstrahl durch das stille Nebeltal,
    rauscht erwachend Wald und Hügel: Wer da fliegen kann, nimmt Flügel! «
  • » Schweigt der Menschen laute Lust: Rauscht die Erde wie in Träumen
    Wunderbar mit allen Bäumen, was dem Herzen kaum bewusst,
    Alte Zeiten, linde Trauer, und es schweifen leise Schauer
    Wetterleuchtend durch die Brust. «
  • » Wenn ich ein Vöglein war, ich wüsste wohl, wovon ich sänge.
    Und auch zwei Flüglein hätt, ich wüsste wohl, wohin ich mich schwänge! «
  • » Sie lächelte still und sah mich recht vergnügt und freundlich an, und von fern schallte immerfort die Musik herüber, und Leuchtkugeln flogen vom Schloss durch die stille Nacht über die Gärten und die Donau rauschte dazwischen herauf – und es war alles, alles gut! «

Wertung: 4/7 Schreibfedern
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