Broken Dolls – Er tötet ihre Seelen (James Carol)

© Balk & Brumshagen; Katharina Netolitzky unter Verwendung eines Motivs von Brian Kubasco (museumoddities.com)

Autor: James Carol
Titel: Broken Dolls – Er tötet ihre Seelen
Verlag: dtv
Erscheinungsdatum: 01. November 2014
Seitenzahl: 384
Originaltitel: Broken Dolls
ISBN-10: 342321550X
ISBN-13: 978-3423215503

Rezension:

Mit dem Kriminalromandebut „Broken Dolls“ führt James Carol auf unkonventionelle Art seinen eigenwilligen, aber gerade deshalb so sympathischen Ermittler Jefferson Winter ein. Als Profiler, welcher ehemals beim FBI tätig war, in Quantico ausgebildet wurde und nun selbst Fortbildungen über Fallanalytik hält, wird dieser schließlich zu einer Mordserie in London hinzugerufen, bei dem ein sadistischer Täter bereits vier junge Frauen entführt, gefangen gehalten, gefoltert und ihnen ohne sie direkt zu töten schließlich einen Teil ihres Gehirns entfernt hat, bevor er sie wieder an unterschiedlichen Orten der Stadt „frei“ ließ. Alle Opfer sind brünett, unglücklich verheiratet und werden letzten Endes dadurch vereint, nun für die Zukunft ein seelenloses Dasein fristen zu müssen, nachdem sie alle einer Lobotomie mittels Orbitoklast unterzogen wurden.

Zusammen mit dem Ermittlungsteam von Scotland Yard unter Detective Inspector Mark Hatcher und seiner jungen, sowie gleichsam klugen und attraktiven Kollegin, Detective Sergeant Sophie Templeton, macht sich der Protagonist somit auf die rasante Hatz nach dem Täter, welcher bereits sein fünftes Opfer auserkoren hat.
Jefferson Winter selbst, ist ein ganz besonderer Fallanalytiker mit einem einzigartigen Gespür für die Geisteswelten seines ihm Gegenüber – der Leser wird nämlich gleich auf den ersten Seiten des Buchs mit der Ursache für diese Fähigkeit konfrontiert: Winters Vater war ein, dem Tätertypus „Serienmörder“ zugehöriger und zum Tode verurteilter, Verbrecher. Diese familiäre Hypothek des Ermittlers wird durch die gesamte Geschichte mitgezogen, teils als Kraft,- und Intellektquelle, teils als psychische Noxe, was auch nicht durch den Synästhetismus der Hauptfigur kompensiert werden kann.

Die kurzen Kapitel, welche abwechselnd aus der Sicht der Kriminalisten und der Perspektive der zuletzt Entführten geschrieben sind, versprechen, ebenso wie man bereits aus dem Prolog schließen konnte, auf jeden Fall konstante Spannung. Nicht nur durch die gut gesetzten Cliffhanger und ein- zwei Handlungswendungen, die selbst einen erfahrenen Kriminalroman-Leser noch überraschen können, sondern ebenso durch interessante Charakterkonstellation und das moralisch sehr interessante Ende des Werkes. Selbst die zwischenzeitlich wiederholt, deutlich herausgestellten Besuche britischer Pubs fallen dem Lesegenuss nicht weiter störend ins Gewicht.

Positiv ist ansonsten auch, dass die Originaltitel im Deutschen beibehalten und im Cover integriert wurden, anstatt wie nur zu oft einer unbefriedigenden Übersetzung weichen zu müssen.

Womit einem auch gleich die Überleitung zum einzigen, großen Kritikpunkt des Buches gelingt. Nämlich dem Manko, welches weder der Handlung selbst, noch dem Autoren anzukreiden ist – der Übersetzer. So versagte Wolfram Ströle meiner Meinung nach schon bei der „His Dark Materials“ Reihe von Philip Pullman, da er einfach eher für Gesellschaftsromane und Ethik-Bücher, als für andere Publikationen versiert scheint. Ihm fehlt ziemlich klar das Gespür für Texte aus der Kriminal,- oder phantastischen Literatur. Wie man anhand der zahlreichen Übersetzungsungereimtheiten und dem altmodisch, teilweise unpassenden Vokabulargebrauch – die verschossenen Gardinen lassen an dieser Stelle nur grüßen – bereits in den ersten Kapiteln des Romans feststellen kann, erst etwa zur Hälfte des Buches merkt man, dass der Übersetzter sich im Rahmen seiner Möglichkeiten an dem Originaltext gewöhnt hat und flüssiger überträgt. Weshalb er sich sowohl zu der Leser, als auch vermutlich seiner eigenen Gunsten, lieber wieder Übersetzungen aus seinem Haupt-Broterwerbs-Bereich widmen sollte. Es bleibt infolgedessen nur zu hoffen, dass auch die geplanten Folgebände von James Carol nicht durch seine Feder laufen.

Auf der anderen Seite möchte ich diese Kritik nicht so stehen lassen, denn wie ich vor kurzem von einem Autoren während einer Lesung direkt gesagt bekam, wird der Übersetzer in seiner Arbeit wohl auch allein gelassen worden sein und es wird vermutlich kaum oder keine Lektoratsunterstützung stattgefunden haben, die mehr als die Korrektur grober orthografischer Schnitzer hätte leisten können. Denn offenbar erlaubt es die wirtschaftliche Situation der Buchverlage nicht mehr zeitliche und finanzielle Ressourcen in die Qualitätssicherung der Produkte zu investieren. Was schade ist, weswegen man sich nur wünschen kann, dass es trotz der aktuellen Schwemme an neuen Medienangeboten, zu einer Rückbesinnung auf das Kulturgut Buch, gerne auch in der digitalisierten Form, kommen sollte!

Da das vorliegende Werk ansonsten in Großbritannien angesiedelt ist, eine Verbrechensreihe von morbider Faszination mit altertümlichen Mordinstrument behandelt und somit ein gelungenes Gesamtpakt darstellt, habe ich nach der Entdeckung des Buches natürlich nicht lange gezögert und es sofort nach Hause entführt.

Doch auch außerhalb der Metropole meines Herzens und den eingangs notierten Faktoren, bin ich mir sicher, dass sich der Autor, sowie seine Ideen behaupten und etablieren werden, einfach weil Winters Charakter frischen Wind und Abwechslung in das Forum der Kriminal-Belletristik bringt. Zumindest bleibt mit dem familiären Hintergrund und der Charakterentwicklung des Protagonisten, stets ein wichtiges Spannungselement für die zukünftigen Handlungsstränge bestehen, um die sich gewiss gut neue Überraschungen spinnen lassen.

Zudem wirft der Autor psychologisch, als auch philosophisch absolut interessante Diskussionspunkte in Themen auf, die ich grundsätzlich mag. Nennen möchte ich hier beispielsweise die Fragestellung, in welchem Maß Selbstjustiz mit dem Gesetz der eigene Moral und gesellschaftlichen Norm vereinbar ist. So wird man unter anderem in eine authentische Situation hineingezogen und muss selbst entscheiden, in wie weit man sich auf die feine Linie zwischen unbefriedigendem Hinnehmen und justiziablem Begegnen eines Affronts begibt. Wodurch sich im Prinzip auch wieder der Kreis zu Winter und dessen unkonventionelle Methoden im Leben, sowie Ermittlungswesen, die bemerkenswert und gefährlich zugleich sind, schließt. Womit James Carol das Nichterfassen des Grates zwischen Gut und Böse perfekt erfasst hat.

Ob es dem Autoren am Ende also gelingt, die Balance beziehungsweise das Gleichgewicht seiner Figuren zu wahren und den vorliegenden Fall in Schier Holmes’scher Genialität zu lösen – auch ich muss dem häufig gesehenem Vergleich von Winter zu einer moderneren Version von Conan Doyles Sherlock ziehen, allerdings mit dem großen Vorteil für den Leser, dass tatrelevante Angaben unmittelbar in der Handlung zu finden sind und im Gegensatz zum Original eine viel realistischere Chance besteht eigene Schlussfolgerungen zu treffen – sollte jeder unbedingt selbst herausfinden, weshalb ich mir erhoffe, dass „Broken Dolls“ auf jeden Fall Einzug in viele Bücherregale erhält!

Quotes:

  • Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass die Menschen meistens nur das sehen, was sie sehen wollen.
  • „Ich kann sie nicht breitschlagen?“ „Sie können es versuchen, aber ich muss Sie warnen, ich war in allen Selbstverteidigungskursen Klassenbeste.“
  • Das Leben ist immer besser als der Tod, denn jedes Leben muss besser sein als ein kaltes, einsames Grab.
  • (Über den IQ von Jefferson Winter) […] „Das ist nur eine Zahl ohne Bedeutung. Entscheidend ist, was man mit seinem Leben anfängt. Unser Handeln bestimmt uns. [...]“
  • „Manche Fragen brauchen gar keine Antwort.“
  • „Wenn man das Unmögliche ausschließt, muss das, was bleibt die Wahrheit sein, egal wie unwahrscheinlich es ist.“
  • „[…] und es sind die Unvollkommenheiten, die uns menschlich machen. Die Geschichte unseres Leben wird durch die Falten erzählt, die wir gesammelt haben.“
  • Wir trugen Kevlarwesten, auf deren Brust in großen Buchstaben POLIZEI stand – keine ideale Stelle für ein Logo. Es wirkte, als habe man das Ziel noch extra markieren wollen.

Wertung: 6 /7 Schreibfedern

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