Ich gegen dich (Jenny Downham)

(c) plainpicture / Marina Biederbick; semper smile, München

Autor: Jenny Downham
Titel: Ich gegen dich
Verlag: btb Verlag (Taschenbuch)
Erscheinungsdatum: 12. November 2012
Seitenzahl: 384
Originaltitel: You against me
ISBN-10: 3442744857
ISBN-13: 978-3442744855

Rezension:

“Ich gegen dich” ist ein Roman der schon durch den gewählten Titel das Aufeinandertreffen zweier, vollkommen individueller und unterschiedlicher Welten symbolisiert. Man lernt zum einen Mikey McKenzie kennen, in dessen Leben seine fünfzehnjährige Schwester Karyn, gerade eine zuvor erlebte Vergewaltigung ihres einstigen Schwarms Tom verarbeitet.
Außerdem beschäftigt ihn neben seiner jüngeren Schwester Holly, um die er sich liebevoll kümmert, seine Alkohol-kranke Mutter, da der Vater schon früh die Familie verließ, sowie sein bester Freund Jacob mit dem er zusammen in einem kleinem Pub als Küchenhilfe beziehungsweise Reinigungskraft arbeitet. Es ist ein Einblick in die untere Schicht der englischen Gesellschaft eines kleines Ortes südlich von London, den man als Leser erhält, nichtsdestotrotz ist dieser stets so geschrieben, dass man sich mit den Hauptprotagonisten identifizieren kann.

Auf der anderen Seite spiegelt sich das Leben von Tom Parker, aus der Sicht seiner Schwester Ellie wieder. Gegensätzlich wartet dies zwar mit üblichen Klischees der oberen Zehntausend auf, wird allerdings durch die ausgeprägteren Charakterzüge der einzelnen Figuren schnell widerlegt.

Beide stellen jedoch bei ihrem ersten gemeinsamen Aufeinandertreffen ein ganz anderes Bild von sich dar. Mikey, der normalerweise gegenüber Frauen nie um ein Wort verlegen ist und seine Männlichkeit spürbar äußert, zeigt nun eine unerwartete Schüchternheit, sowie Zurückhaltung und die strebsame, intelligente Elleanor sieht in dieser Begegnung die Möglichkeit verwegener zu sein und auch ihre persönliche ‘Freiheit’ zu finden. Aus dem anfänglich von Mikey und seinem Freund aufgrund des fehlenden Vertrauens in die Justiz konstruierten Racheplan, der das Einholen von Informationen von der eigenen Schwester des Täters vorsah um diesen mehr oder weniger gewaltsam mit seiner Tat zu konfrontieren, entwickelt sich daher im Laufe der Geschichte eine völlig anders geartete Beziehung der jungen Heranwachsenden.

Durch das Verschwimmen der Grenzen von Wahrheit und Lüge, von Richtig und Falsch beziehungsweise Opfer und Täter bleibt es durchweg spannend und kompliziert.
Zur Hälfte des Werkes erreicht man schließlich den Scheitelbogen des Handlungsstranges durch den direkten, handgreiflichen Konflikt: Tom und Mikey begegnen sich im Haus des Ersteren. Ellie fand kurz zuvor heraus, dass die Person ihres Interesses der Bruder von Karyn, die für sie eine Liebschaft ihres Bruders hielt, ist. Doch diese Entdeckung hielt sie geheim – um an Mikeys Beispiel prüfen zu können, ob junge Männer immer Frauen gegenüber zu viel sexuellen Druck ausüben.

Nach dem Entladen des Konflikts in einer handgreiflichen Schlägerei durch das Haus und den Garten folgt man den einzelnen Protagonisten wieder in ihren verschiedenen Leben. Mikeys erlangt durch die Hilfe der seine Schwester betreuenden Polizistin eine kurzzeitig positive Wandlung, denn nicht nur Karyn vermag es, aus einem depressiven Stimmung zu klettern, auch die Mutter rappelt sich wieder etwas auf und Ellies Welt steuert mit der Voranhörung ihres Bruders vor Gericht und dem Prozess auf den Beginn eines sozialen Abstiegs und moralischem Dilemma zu. Das erste direkte Wiedersehen der Zwei gegensätzlichen und doch gegenseitig angezogenen Pole geschieht dann im Zuge der gerichtlichen Anhörung im Justizgebäude, wo sie sich auf sprichwörtlich neutralem Boden wieder etwas annähern.

Doch die nach Außen sich beruhigenden Wogen, so fängt Karyn beispielsweise an mit Jacko zu scherzen und auch Tom erlangt etwas Alltag zurück, glätten sich nicht für die beiden Protagonisten. Denn Mikey, bei dem es allgemein schlechter läuft, fühlt sich zunehmend familiär ausgeschlossen und auch in Ellies Welt kommen immer mehr die wirklichen Erinnerungen an die Tatnacht zum Vorschein, derer sich in ihrer Familie außer ihr selbst aber niemand stellen möchte. So läuft es darauf hinaus, dass beim Zuspitzen der Situation schließlich beide für einen Moment aus ihrem gewohnten Umfeld ausbrechen und gemeinsam in einer Art Flucht einen Neuanfang wagen und ein verlassenes ‘Landhaus’ von Ellies Großeltern aufsuchen, wo sie sich auch körperlich einander nähern, in dem sie die erste Nacht zusammen verbringen. Aber das Glück soll nur von kurzer Dauer sein, denn in ihren jeweiligen Zuhause wieder angekommen, hat sich nichts verändert im Gegenteil. Alles wurde wie mit einem Reset Knopf zurück gesetzt, als wäre das Vorige nicht existent gewesen. Ellie muss miterleben, wie sie vom Vater regelrecht weg gestoßen, sowie von ihrer Mutter teilweise im Stich gelassen und abermals wie ein kleines Mädchen behandelt wird, denn diese sehen nur den Verlust ihres eigenen Ansehen und Toms ‘Ehre’ im Mittelpunkt. Ebenso ruft ein Wechsel ihrer Eltern des Anwalts Ellies Wut hervor, nachdem der erste Strafverteidiger es auch nur wagt, die objektive Wahrheit anzusprechen.
Mikey vernachlässigt derweil seine Arbeit, was zu einer Abmahnung führt; gleichfalls war die Pause im Alkoholkonsum der Mutter nur von kurzer Dauer. Sein bester Freund und Kollege Jacko untergräbt seine Sicherheit in Bezug auf sein Verhalten mit Ellie und auch seine Schwester fühlt sich ob der Beziehung mit der Schwester des Täters von ihm verraten.

Doch all der Widrigkeiten zum Trotz, zieht es die Beiden keine 24 Stunden später wieder unweigerlich zueinander hin und der Leser beschreitet zusammen mit Ellie den bereits von Beginn an zu erahnenden Weg vom ersten Treffen bis zur Nacht im Landhaus.
Es stellt sich heraus, dass der erste Eindruck vielleicht doch nicht immer trügerisch ist, Klischees einen wahren Kern haben, alles immer mehrere Facetten hat und etwas das zuvor belegt wurde eindeutig sein kann, eben immer zwei Seiten hat. Ob beim Täter, Opfer, den Angehörigen, jedem Menschen. Ein vielleicht offenes, aber zugleich auch geschlossen, würdiges Ende für diese Studie eines ansonsten absolut ernsten Themas.

Es herrschen gut verpackte Gefühle vor, die realistisch wiedergegeben wurden, gerade was die Darstellung der vorsichtig entwickelten Liebe betrifft, auch wenn der Fall an sich eher unwahrscheinlich anmutet. Beide Hauptfiguren werden mit der Geschichte erwachsen und erkennen durch den jeweils anderen die wirklichen Hintergründe ihrer ‘Welt’, so dass sie letzten Endes nicht nur einander, sondern vor allem zu sich selbst finden.
Ebenso die Moral, welche Auswirkungen die Gesellschaft und das Frauenbild schließlich auf die Handlungen von Jugendlichen haben, ist mehr als eine Diskussion wert und gut als ein Grundthema verarbeitet worden. Eine moderne Romeo und Julia Geschichte, die ich nur empfehlen kann.

Quotes:

  • »Und vielleicht kam es ja darauf an, dass man die guten Dinge zu schätzen wusste, wenn sie sich ergaben [...]«
  • (Über die Liebe) »Aber es ist alles, was wir haben. Letzten Endes ist es das Einzige, woran wir uns festhalten können.«
  • »Wenn man etwas nur intensiv genug will, kann man es manchmal herbeisehnen. Wenn einem jemand so sehr fehlt, dass es einen innerlich verzehrt, kann man dessen Namen so oft aufsagen, bis man ihn herbeigezaubert hat. Es heißt Sympathiezauber, und man muss nur daran glauben, damit es wirkt.«

Wertung: 5/7 Schreibfedern
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