Glühwürmchen, glüh (Paul Pen)

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Autor: Paul Pen
Titel: Glühwürmchen, glüh
Übersetzer: Adriana Beatriz Netz
Verlag: Amazon Crossing
Erscheinungsdatum: 12. April 2016
Seitenzahl: 412
Originaltitel: El brillo de las luciérnagas
ISBN-10: 1503936392
ISBN-13: 978-1503936393

Rezension:

Paul Pen schreibt in „Glühwürmchen, glüh“ über eine Familie, wie sie normalerweise einem Bilderbuch entspringen könnte: eine Mutter, ein Vater, die älteste Tochter, der fünf Jahre jüngere Sohn, ein Nesthäkchen in Form eines männlichen Nachzüglers und die väterliche Großmutter. Doch diese Familie ist alles andere als normal, denn seitdem die einzelnen Mitglieder durch ein Feuer entstellt wurden, lebt der kleine Clan in einem Keller, der ihr Zuhause darstellt und welcher gleichzeitig – mit Ausnahme eines kleinen, täglich wandernden Sonnenstrahls – vollkommen vom Tageslicht abgeschnitten ist.

Der jüngste Sohn schildert eindrucksvoll, die, durch die verschlossenen Türen hervorgerufene und nicht nur räumliche entstehende, Beklemmung. Denn seitdem seine Schwester ein Kind zur Welt gebracht hat, ist es auch für ihn mit dem einstigen Familienfrieden und den positiven Kindheitserinnerungen vorbei. Einzig ein paar von dem aufgewecktem Kind in einem Glas aufbewahrte Glühwürmchen versprechen ihm Hoffnung auf bessere Zeiten und künden von einem Bruchteil des Unbekannten außerhalb der von ihm trauten Wände. So wird der Leser zusammen mit dem von Wissbegierde und in demselben Maße von Ungewissheit geplagten Jungen auf eine Exkursion hin zu den in der Vergangenheit liegenden Wurzeln des ominösen „Grillen-Mannes“, der wahren Familiengeschichte, sowie deren Fortsetzung geführt.

»Aber sie erkannte, dass der Junge seinen Mund geschlossen hatte. Draußen zirpte die Grille weiter. Ein zyklischer, sich wiederholender Gesang, der die Zeit zu messen schien, die ihnen davonlief. Ein Zeit voller Geheimnisse und Lügen, die jetzt ein Ende fand.«

Eine Tragödie voller Geheimnisse und einer Aneinanderreihung von Fehlentscheidungen oder auch ein in Teilen selbst gewähltes Schicksal, dessen Erklärungsversuche wie schlimme Ereignisse ‘normale’ Menschen entzweien oder näher zusammenbringen können, erstmals zur Hälfte des Romans aufgegriffen werden und nicht zu Letzt in einem gar philosophisch anmutenden, intelligent gewähltem Ende münden.

»Obwohl mir eine Träne seitlich an der Nase herunterläuft, muss ich lächeln, [...]. Weil ich weiß, dass das Licht immer denen gehören wird, die so sind wie wir. Und dass diejenigen in die Dunkelheit verbannt werden, die noch nicht so weit sind, um über ihren eigenen Tellerrand hinauszuschauen.«

Ich muss sagen, dass ich, als erfahrene und meist unberührte Horrorfilm-Konsumentin wie auch Thriller-Leserin, selten bis nie über eine Lektüre oder das dargebotene Material schockiert bin, doch dieses Buch hat mich stellenweise tatsächlich entsetzt und ich musste mich dazu durchringen es nicht einfach aus der Hand zu legen. Vielleicht liegt das daran weil ich zu empathisch bin und immer ein typisches Papa-Kind war oder weil ich selbst als Mutter nicht nachvollziehe, wie man ein Kind, egal welchen Geschlechts, dem anderen vorziehen kann.
Aber all dies spricht nun einmal auch für den Autoren. Schließlich hat Pen es nicht nur geschafft von der ersten bis zur letzten Seite ohne die Nennung eines einzigen Namens auszukommen und dabei dennoch eine erschreckende Nähe zu den Charakteren zu erzeugen, sondern er vermittelt auch dem Leser durch seine Schilderungen, die nie ins Detail gehen und oft subtil bis banal sind, eine packende und authentische Atmosphäre.

Ist es vielleicht am Ende allein die Wortwahl, die so grausam suggestiv wirkt?!

Auf jeden Fall hebt diese den flüssigen Schreibstil des Thrillers gut hervor. – Lediglich die Gedanken des elfjährigen Erzählers wirken meiner Erfahrung nach, passagenweise zu reif und daher nicht dem avisierten Alter entsprechend. Anderseits nivellieren die beschriebenen physischen Reaktion des Jungen auf die offerierte Handlung den Eindruck wieder, wodurch ein stimmiges Gesamtbild entsteht. Die wunderschöne, persönliche Widmung Paul Pens möchte in an dieser Stelle ebenfalls nicht unerwähnt lassen.

»Für meinen Vater, von dem ich mein erstes Insektenbuch bekam.
Für meine Mutter, die den Schleier ihres Brautkleides nahm und einen Schmetterlingskescher daraus machte.«

Insgesamt ein wendungsreicher Roman, der einen dazu einlädt die labyrintischen Gänge der menschlichen Natur zu ergründen und für den ich eine Empfehlung aussprechen kann.

Quotes:

  • „Und wie ging das [die Angst vor der Dunkelheit] vorbei?“ „Wie alle Ängste vorbeigehen“, antwortete sie. […] „Indem man sich ihnen stellt.“
  • Die faszinierendsten Geschöpfe sind die, die ihr eigenes Licht erzeugen können.
  • „An dem Abend, als du mir das Ei gebracht hast, hab ich dir eine besondere Macht verliehen. Ich habe dir beigebracht, die Dinge so zu sehen, wie ich selber sie sehen muss“, sagte sie […]. „Indem du sie dir vorstellst. Und wie ich sehe, hast du diese Macht gut eingesetzt.“
  • Vielleicht ist ja der Tag gekommen, an dem der Wunsch nach Wissen stärker ist als die Angst vor dem Unbekannten.

Wertung: 5/7 Schreibfedern

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