Der Teufel von New York (Lyndsay Faye)

© Balk &Brumshagen; Isabelle Hirtz, Inkcraft – Gesetzt aus der Aldus nova

Autor: Lyndsay Faye
Titel: Der Teufel von New York
Übersetzer: Michaela Meßner
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag (23. Oktober 2015)
Erscheinungsdatum (im Original): 13. September 2012
Seitenzahl: 480
Originaltitel: The Gods of Gotham
ISBN-10: 3423216115
ISBN-13: 978-3423216111

Rezension:

Mit „Der Teufel von New York“ schafft Lindsay Faye die Grundlage für ihren Roman vor der historischen Kulisse des ‘Big Apple’ im Jahr 1845. Timothy Wilde, eigentlich Barkeeper in einem kleinem Austern-Etablissement erzählt einen Teil seiner Lebensgeschichte, wie er vom zwölfjährigen Waisen, zusammen mit seinem älteren Bruder Valentine – dem Wesen nach Feuerwehrmann, Frauenheld, Rauf,- als auch Trunkenbold – nach dem Verlust der Eltern bei einem Hausbrand aufwuchs und schließlich in Folge einer erneuten Brandkatastrophe seine Gesichtsästhetik verlor, bevor er zu einem der ersten „Kupfersternträger“ des unter George Washington Matsell und den Anhängern der Demokratischen Partei, frisch gegründeten New York Police Department wird.

Als Streifenpolizist des sechsten Bezirks, dem schlimmsten Armutsviertel New Yorks der damaligen Zeit, arrangiert sich Timothy schließlich mit seiner neuen Tätigkeit und findet neben einem neuen Zimmer in Mrs. Boehms Bäckerei auch etwas mehr zu sich selbst. Bis ein kleines Mädchen in einem blutverschmierten Nachthemd am Ende einer albtraumhaften Tagesschicht plötzlich seinen Weg kreuzt und diese Begegnung ihn nicht nur zu 19 Kinderleichen, welche alle die gleichen Verstümmelungen aufweisen, führt, sondern die ebenso der Anfang einer Geschichte ist, welche den Leser auf eine spannungsgeladene Spurensuche mitnimmt.

Bei diesem Abenteuer begegnet man zahlreichen vielschichtigen Charakteren, die einen schließlich zur Aufklärung der Ereignisse und vielen persönlichen Schicksalswegen führen.
Außerdem wird man während den Ermittlungen und Erzählungen unbeschönigt, ohne jedoch zu stark ins grausige Detail zu gehen, mit den verschiedensten Überlebenskämpfen in einer der am schnellsten wachsenden Metropolen des 19. Jahrhunderts konfrontiert. So stehen Armut, Glaubenskonflikten, Rassismus, Mord aus diversen Motivationen heraus und (Kinder-)Prostitution im Mittelpunkt. Wobei auch das breite Spektrum der Liebe, sowie des Freiheitsstreben der New Yorker Bevölkerung und das Kalkül der Staatsführung niemals außer Acht gelassen werden.

Timothy Wilde selbst stellt, in Anbetracht der damaligen politischen und gesellschaftlichen Normen, im Übrigen einen wahrer Freigeist dar, der in Form von Mercy Underhill, ihrerseits Tochter des Reverends und unerschrockene Verfechterin für die Armen, seinesgleichen (und sogar darüber hinaus) findet.

Der wunderbar eloquente Schreibstil, der sich wiederum durch seine bildhaften Umschreibungen auszeichnet und dessen tolle Übersetzung mag manch einem vielleicht zu langatmig erscheinen – nicht so mir!
Man fühlt sich nämlich aufgrund der gut ausgearbeiteten Atmosphäre sofort ins frühe New York zurück versetzt. Die (Zeitungs-)Artikelausschnitte zu Beginn eines jeden Kapitels stützen diesen Eindruck nur.

„Die Flut der Emigration, die jetzt so heftig gegen unsere Küsten schwappt, wird sich nicht umkehren lassen. Wir müssen die Armen, die Ungebildeten, die Unterdrückten anderer Länder bei uns aufnehmen, und wir täten gut darin, sie als Menschen zu betrachten, die mit der ganzen Energie der Hoffnung bei uns ankommen, hier glücklichere Tage zu erleben und eine nützlichere Arbeit als zu Hause zu finden. Niemand, so denke ich, ist ernsthaft der Ansicht, dass sie mit bösen Absichten kommen.”
(Die sanitären Bedingungen der arbeitenden Bevölkerung von New York, Januar 1845)

Auch die Leitthemen wie Fremdenfeindlichkeit gegenüber einer rapid ansteigenden Zahl an Einwanderern oder absurden Ängsten gegen andere Kulturen und einer ‘unbekannte’ Religion, als auch die daraus resultierende Spaltung einer Gesellschaft, sind in Bezug auf die europäische „Flüchtlingskrise“ aktueller denn je. Zumindest illustriert der Roman perfekt den sich ständig in der menschlichen Geschichte wiederholenden Kreislauf von Katastrophen, Armut, Habgier, Gewalt, Krieg, Wohlstand und Neid .

Trotzdem zeugt es gleichermaßen davon, dass Fiktion und Historisches hervorragend in Einklang gebracht wurden. So entdeckt man immer wieder gar liebevoll verwobene Details und Anleihen aus der realen Geschichte, wie beispielsweise George Washington Matsell, welcher im Roman ein Lexikon über die Gaunersprache verfasst und das später tatsächlich reell erhältlich war beziehungsweise sogar als Fortschritt im Verständnis zwischen Ganoven und der Polizei verstanden werden konnte.
Absolut gelungen finde ich auch, dass man als Leser selbst, aufgrund der Zeugenaussagen und Handlungsstränge, die Möglichkeit erhält eigene Schlussfolgerungen zu ziehen und fast lebhaft sich an den Ermittlungen beteiligen zu können. Das hat leider den bitteren Beigeschmack, dass ich schon nach einem Drittel der Lektüre und dem einen entschiedenen Hinweis, die „oppositionelle Hauptfigur“ identifizieren konnte, aber dennoch wurde die Handlung, gerade wegen der überraschenden Wendungen einzelner Figuren, nie langweilig und blieb bis zur letzten Seite spannend.

Der alleinige Kritikpunkt an dem Ganzen ist ausnahmsweise einmal, das das Buch trotz seiner 480 Seiten viel zu schnell ausgelesen war, obwohl sich die Romanfigur und der geschichtsträchtige Handlungshintergrund erstklassig für eine Kriminalserie anbieten und das Buch im Prinzip nach einer Fortsetzung schreit. Allerdings ebenso als Einzelwerk gesehen werden kann. Glücklicherweise gibt es diese Weiterführung mit „Die Entführung der Delia Wright“, dem zweitem Fall für Timothy Wilde, bereits, weshalb zumindest ich gleich nahtlos weiter lesen werde! Für all jene, die den Band schon verschlungen haben und auf den letzten, hierzulande im Februar erscheinenden, Teil der Trilogie warten beziehungsweise nicht so lange ausharren können, ist das veröffentlichte Original des finalen Werks der Saga von Gotham, „The Fatal Flame“, nur empfehlenswert.

Quotes:

  • „Wenn die Freiheit des Geistes eine Eigenschaft des Menschengeschlechts ist, die Bewunderung verdient, so ist Ihr Bruder ein höchst rühmenswerter Mann.“
  • Dann sagten wir nichts mehr. Ein Student eilte vorüber, nicht ahnend, welch schreckliche Dinge sich südlich von ihm zugetragen hatte. [...] Er musste ganz dringend irgendwo hin und würde nicht rechtzeitig dort sein. Was für eine erstrebenswerte kleine Katastrophe, dachte ich bei mir. Ein richtig nettes Missgeschick. Es würde gleich geschehen, wäre schnell vorüber und schon sehr bald vergessen. Wir brauchten mehr Probleme dieser Art. [...]Ich wünschte mir sehnlich, mit der jungen Frau an meiner Seite zahllose kleine, erträgliche Sorgen aushalten zu müssen. Viel mehr brauchte ich nicht.
  • Angesichts all der magischen Entdeckungen, die man bereits gemacht hatte, wer wusste da schon, was wohl noch in der Welt still darauf wartete, dass wir es ganz verstanden?
  • Wenn du hartnäckig genug bist, ist es ganz egal, dass du nicht die geringste Ahnung hast, was du da eigentlich tust.
  • Fakten an sich sind nicht von Bedeutung. Sondern die Menschen. Ihre Geschichte und ihre guten Taten.

Wertung: 6,5 / 7 Schreibfedern

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