Das Aachen Memorandum (Andrew Roberts)

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Autor: Andrew Roberts
Titel: Das Aachen Memorandum
Verlag: Dtv
Erscheinungsdatum: 1998
Seitenzahl: 315
Originaltitel: The Aachen Memorandum
ISBN-10: 3423201495
ISBN-13: 978-3423201490

Rezension:

Der britische Historiker und Journalist Andrew Roberts hat mit „Das Aachen-Memorandum“ ein Werk der Spannungsliteratur verfasst, welches eine Dystopie im Jahre 2045 behandelt und als Hintergrund den Zusammenschluss der Staaten der Europäischen Union zu den Vereinigten Staaten von Europa besitzt.

Die Hauptfigur ist, vermutlich angelehnt an den Schriftsteller selbst, ein brillanter Historiker und Journalist des Namens Dr. Horatio Lestoq, der in London und Südengland für die Times arbeitet. Eine Tätigkeit, in der er zwei durchschlagende Erfolge bei der Aufspürung verloren geglaubter Schriftsätze errungen hat, die beide mit intensiver und durchdachter Archiv-Arbeit zu tun hatten und zu seinem Spitznamen „Dämonischer Dokumenten-Detektiv“ führten. Eine Figur die in seiner eigenen Zeit bereits ebenso konservativ, wie auch als ein Überlebenskünstler auf einen wirkt.

Mit Beginn der Handlung lautet sein Arbeitsauftrag, einen Artikel zum Anlass des dreißigjährigen Jubiläums des Aachener Referendums, welches die Gründung der Vereinigten Staaten von Europa markierte, zu verfassen. Dazu verabredet er sich mit einem damaligen Mitglied der Wahlkommission, einen zweiundneuzigjährigen pensionierten Admiral – den er beim vereinbarten Eintreffen an dessen Wohnort allerdings tot auffindet. Unterbewusst glaubt er sofort, dass dieser keinem natürlichen Tod anheim gefallen sein kann, eine Ahnung, die sich später als zutreffend herausstellt. Ab hier entspinnt sich eine Intrige, die Elemente des Politthrillers und des Kriminalromans vermischt und im Höhepunkt zahlreiche Wendungen aufweist.

Das Buch umfasst einen Themenkomplex, welcher in Anbetracht der aktuell europäischen Union und der Cameron-Debatte durchaus Bezüge zum Politgeschehen aufweist. Wobei man nur hoffen und sich dafür einsetzten mag, dass Demokratie, Freiheit und Toleranz stets Leitbild und Aufgabe jedes Staates bleiben werden und sind.

Allein der Klappentext macht im Übrigen bereits eine sehr treffende Aussage dahingehend, dass der Tenor des Romans „In der Tradition von George Orwell [...]“ sei. In der Tat nutzt der Autor Prämissen, die reichlich befremdlich wirken, nach damaligem (1995) und heutigem (2015) Wissen: Die Vereinigten Staaten von Europa wirken wie ein Gebilde, dass manch anderer Ideologe vermutlich als „wohlmeinende Diktatur“ bezeichnen würde, auch nehmen zahlreiche eher kryptisch nummerierte Normen für sich in Anspruch, das Verhalten der Bürger bin in kleinste Details des Privatlebens zu regulieren. Beispielsweise werden sogenannte „Diggles“ mehrfach hervorgehoben, die im vorgeblichen amtlichen Sprachgebrauch „Präpenetrations-Erlaubniszertifikate“ bezeichnen, welche zur Legalisierung einer sexuellen Beischlafhandlung gar noch von einer Behörde namens „Gesundheitskommision“ gegengezeichnet werden müssen oder auch Vorschriften im Bereich der Sprache, die nicht anders als Überregulierung und präemptiven Aktionismus im Bereich der Vermeidung von realen oder angeblichen Diskriminierungen bezeichnet werden können. Zudem gibt es auch eine Polizeieinheit namens „Politische Nachrichtenabteilung“, die vom Auftreten her als geheime Staatspolizei oder Politpolizei zu charakterisieren ist. Roberst geht sogar so weit, Londoner stadtgeografische Namen (u.a. Trafalgar Square, Waterloo Station) im Bestreben der Auslöschung von „Kämpfen gegen Unionsmitbürger“ zu ändern, ersterer wird zu „Delors Square“ nach dem Politiker Jacques Delors, Zweitere zur „Maastricht Station“. Dabei wird aber völlig verkannt, dass es national und international anerkannte und auch vom Wesen her kaum zu widerrufende hochrangige Rechtsnormen gibt, die derartige gesellschaftliche Auswüchse verhindern – es ist nicht vorstellbar, dass europäische und UNO-Menschenrechtskonventionen im Hinblick auf die Achtung des Privatlebens dermaßen mit den Füßen getreten werden können. Zum Glück zeigt sich auch mit dem heutigen Wissen in der „Post-Snowden-Ära“, dass derartige Entgleisungen nicht von Dauer und nicht gesellschaftlich akzeptiert sind oder sein können!

Eine Dystopie ist ansonsten vom Wesen her ja meistens als Warnung vor, vom jeweiligen Autor als kritisch empfundenen, gesellschaftlichen Entwicklungen angelegt. Insofern ist eine Kritik einerseits an, postuliert, durch die Europäische Union verschuldete Gleichmacherei der Gesellschaften und andererseits einem menschenverkennenden Ökonomismus überdeutlich wahrzunehmen. Leider übertreibt der Autor jedoch durch die Nutzung seiner Stilmittel und verrennt sich in einer „British-Empire-Nostalgie“ mit Deutschenfeindlichkeit. So lässt zum Beispiel unter anderen seine Hauptperson, dass als modern geltende Nutzen der deutschen Sprache mit Spott ablehnen, weswegen er seine Botschaft im Prinzip leider wieder negativiert. Hier wäre eine gemäßigtere „Umwelt“ mit größerer Beachtung der realen Gesetze für die Geschichte wesentlich eindrucksvoller und nachhaltiger gewesen.

Dieses leider wohl nur mehr antiquarisch erhältliche Werk ist nichtsdestotrotz eine von der Konstruktion her spannende Lektüre. Für den ein oder anderen interessierten Leser fallen aber sofort ziemlich große Lücken und Mängel in den Prämissen der Geschichte auf. Denn ein Werk, welches in einer nahen Zukunft spielt, kann, auch im Rahmen einer Dystopie ohne das dafür eine plausible Erklärung gegeben wird, schlicht und ergreifend nicht die Realitäten der aktuellen Menschenrechtsnormen ignorieren.

Als Grundlage einer privaten Diskussionsrunde oder einem „Was-wäre-Wenn“-Rollenspiel dürfte es allerdings passend sein.

Wertung: 4/7 Schreibfedern
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