Die Nacht schreibt uns neu (Dani Atkins)

© Fotolia; Shutterstock – Franzi Bucher, München

Autor: Dani Atkins
Titel: Die Nacht schreibt uns neu
Übersetzer: Dr. Birgit Moosmüller
Verlag: Knaur TB
Erscheinungsdatum: 17. Dezember 2015
Seitenzahl: 448
Originaltitel:The Story of Us
ISBN-10: 3426517698
ISBN-13: 978-3426517697

Rezension:

Was ist, wenn man allen Widrigkeiten und Verpflichtungen zum Trotz, die eine Möglichkeit auf Glück nutzt? Was wenn der Preis dafür der Verlust einer Liebe ist? Was wenn Liebe unerfüllt bleibt?

Mit diesen Fragen sieht man sich nicht nur als Leser von Dani Atkins zweitem Roman „Die Nacht schreibt uns neu“ konfrontiert, sondern diesem Themenkomplex müssen sich auch die einzelnen Protagonisten und Figuren der Autorin stellen. So lernt man Emma Marshall mitten in den letzten Vorbereitungen für ihren großen Tag kennen, die einem die Geschichte ihrer tatsächlichen Liebe erzählt.

Für Emma, die aufgrund der Erkrankung ihrer Mutter von London in ihre klein-englische Heimatstadt zurückkehrte und die nun mit ihrem zukünftigen Bräutigam Richard ein solides Leben im Kreis ihrer Familie, sowie engsten Freunde führt, ändert die Nacht ihres Junggesellinnenabschiedes alles bisher Dagewesene. Als sie sich nämlich zusammen mit ihren Freundinnen Amy und Caroline im Auto auf den Heimweg begibt, verliert Letztere nach einem Wildtierwechsel die Kontrolle über das Fahrzeug und die drei Insassinnen werden, jede auf ihre eigene Art, mit einem ungewöhnlichen Schrecken konfrontiert.
Die Protagonistin selbst ist eingeklemmt im Auto und kann nur mit Hilfe des plötzlich auftauchenden Jack Monroe, seinerseits ein gut gebauter, amerikanischer Schriftsteller auf Buchrecherche, der brenzligen Situation entfliehen. Und auch Amy, die physisch am stärksten getroffen wurde, gibt ihrer besten Freundin mit ihren letzten Worten ein ominöses Rätsel auf, währenddessen Caroline dem Schock anheimgefallen ist und schließlich für alle durch den Unfall ein neues Kapitel ihres Lebens beginnt.

»Da war sie wieder, die VIP-Sonderbehandlung, die denen vorbehalten war, deren Tragödien über das übliche Maß hinausgingen. Ich wollte nicht zu diesem Club gehören.«

Emmas Geschichte ist eine Geschichte, welche zudem mit einer besonderen Struktur aufwartet, denn das Endkapitel des Buches, das in sechs kurze Szenen, welche wiederum in der Gegenwart spielen, gefasst ist, wird immer wieder zwischen der eigentlichen Handlung eingewoben. Dadurch entsteht eine Art „Countdown“, welcher einen zu einem völlig überraschenden Schluss führt, ohne das direkt erkennbar gewesen wäre, dass dieser untrennbar in den Erzählfluss eingebettet ist.

Ansonsten kann ich der bisher landläufigen, das heißt in anderen Rezensionen bereits aufgekommenen Kritik, die geschaffenen Figuren der Protagonisten seien realitätsfremd, zu perfekt oder gar unsympathisch und die Handlung, welche durch das Verkehrsunfallthema zu sehr „Der Achse meiner Welt“ gleichen würde, wäre zudem noch künstlich in die Länge gezogen worden, absolut nicht entsprechen.
Schließlich gesteht man sich am Ende einer jeden zwischenmenschlichen Beziehung leider nur selten die positiven Seiten und Eigenschaften seines Gegenüber ein, weshalb es – abgewandelt auf die dargelegte Handlung – auch wenig verwunderlich ist, dass Emmas Verlobter Richard nicht gerade wie ein strahlend, charmanter Sympathikus erscheint. Ebenso zeugt Jacks Misstrauen gegenüber anderen Menschen mehr von Menschlichkeit, als von vorgezeichnetem Perfektionismus.
Charaktere wie Monique, die aus Frankreich stammende Buchhändlerin, runden meiner Meinung nach, sogar den angenehmen Eindruck noch ab.

Auch wird jeder, der schon einmal einen [Auto-]Unfall miterlebt hat oder diesem nur knapp entgangen ist, die in jeder Hinsicht logisch nachvollziehbaren Reaktionen der aktiven Charaktere sehen und wieder erkennen können. Selbst die Tatsache, dass man im Schockzustand, der für andere durch die noch rational getätigten Handlungen nicht immer sichtbar ist, rein Instinktgesteuert Gedanken darüber verliert, was sein männliches Pendant wohl gerade bewegen mag, sind nicht unplausibel.
Da statistisch gesehen die Liste der häufigsten Todes,- und Unfallursachen zudem in den westlich orientierten Industrieländern immer noch unangefochten von Straßen,- und Verkehrsdelikten angeführt wird, liegt es nahe, dass erneut dieser Hintergrund gewählt wurde. Wobei der Kritikpunkt auch für mich noch der in sich schlüssigste ist.

»Manchmal aber kam es vor, dass das Undenkbare, wie schrecklich es auch sein mag, trotzdem wahr ist.«

Eines der Subthemen des Romans, die Krankheit von Emmas Mutter, wurde meinem Erachten nach, ebenfalls gut als Hintergrundgeschichte involviert. Schließlich dürfte durch die mediale Präsenz und Öffentlichkeitsarbeit der vergangenen Jahre im Prinzip jedem, auch ohne tiefgreifende medizinische Kenntnisse, sofort bewusst sein, von was die Rede ist, selbst wenn dies explizit erst später erwähnt wird.

Womit nur das schon altbekannte Manko der Berechenbarkeit der Geschichte an sich bestehen bliebe, welches hier aber im Vergleich zu dem Debütroman von Atkins nicht erfüllt und um Längen besser umgesetzt wurde. Als Leser kann man sogar eine deutliche Schreibentwicklung ausmachen. So wirkt der weibliche Hauptcharakter wesentlich emanzipierter und ausdrucksstärker. Etwas, dass sich für mich sehr positiv herausgehoben hat, vor allem wenn man das Alter der Autorin bedenkt. Gleichermaßen waren die Dialoge unterhaltsamer, sowie schnittiger formuliert. Man konnte förmlich das Flirren, welches zwischen Emma und Jack in der Luft lag, spüren. Selbst ich, als bekennende Nichtromantikerin, war zum Beispiel gegen die Anziehungskraft der Beiden nicht immun.

»Ich handelte einzig und allein aus einem primitiven Instinkt heraus, der mich mit aller Macht zu ihm zurückzog: als gäbe es zwischen uns ein unsichtbares Gummiband, das mich zwang, zu ihm zurückzukehren.«

Wer folglich solch schwach begründete Kritik verlauten lässt, urteilt meiner Meinung nach, zu eindimensional und unbedacht, was dem Roman, der durchaus das Potenzial besitzt einen gut zu unterhalten, einfach nicht gerecht wird.

Zumindest durfte ich mit der Protagonistin schmunzeln, lachen und wurde sogar zu Tränen gerührt. Wer also eine wunderschöne Liebesgeschichte erwartet und sich nicht von durchwachsenen Meinungen anderer abschrecken lässt, ist an dieser Stelle nicht verkehrt und sollte sich auf jeden selbst einen Eindruck von dem Buch verschaffen. Denn mit dem für mich ansprechenderem Originaltitel „The story of us“ erwartet einen zwar keine anspruchsvolle, aber dafür trotzdem eine absolut lesenswerte Lektüre.

Quotes:

  • „So kannst du auf Dauer nicht leben – immer in der Angst vor dem Was, Wenn. Du kannst die Zukunft nicht vorhersehen. Du musst einfach das Beste aus dem machen, was du hast, und zwar dann, wenn du es hast. [...]“
  • „Eines Tages kam ich früher von einer Lesereise zurück“, brach er schließlich das Schweigen, „und ertappte sie dabei, wie sie meinen besten Freund vögelte.“ Die brutale und bittere Art, wie er das sagte, ließ mich nach Luft schnappen. „Unter der Dusche, in unserem Badezimmer“, fügte er hinzu, als wäre die Örtlichkeit irgendwie wichtig. Krampfhaft überlegte ich, was ich sagen sollte, um genau den richtigen Ton zu treffen und möglichst verständnisvoll und mitfühlend zu klingen. Deswegen weiß nur Gott allein, welcher Teufel mich ritt, als ich am Ende stammelte: „Ich hatte noch nie Sex in der Dusche.“
  • „Wo man sich zu Hause fühlt, hat nichts mit Ziegelsteinen und Mörtel zu tun, Emma. […] Zu Hause ist man da, wo der Mensch lebt, den man liebt.“

Wertung: 5,5 /7 Schreibfedern

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