Kind 44 (Tom Rob Smith)

Autor: Tom Rob Smith
Titel: Kind 44
Verlag: Goldmann (Taschenbuch)
Erscheinungsdatum: 04. Januar 2010
Seitenzahl: 509
Originaltitel: Child 44
ISBN-10: 3442472075
ISBN-13: 978-3442472079

Rezension:

Kind 44 ist ein in der Sowjetunion zwischen 1930 und 1950 spielender Roman, dessen Rahmenbedingungen von der Holodomor und der stalinistischen Gewaltherrschaft mit vielen Begleitelementen, wie der Unterdrückung der Bevölkerung durch Angst, herangezogen werden.

Am Anfang des Buches lernt der Leser eine kleine Familie, eine Mutter und zwei Jungen, aus einem ukrainischen Dorf kennen, die wie alle dortigen Bewohner schwer unter dem Hunger zu leiden haben. Als eine Nachbarin beschließt, nicht mehr länger gegen den Tod zu kämpfen, lässt sie ihre bis dato so geliebte Katze aus dem Haus laufen – eine Katze, die für den älteren der Jungen, wie eine wunderbare Delikatesse aussieht, wo doch schon alle Ratten im Dorf in die Kochtöpfe der Menschen gewandert sind.
Gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder macht er sich an die Verfolgung des Tieres, was letztendlich auch gefangen und getötet werden kann. Eine Handlung die den Beginn zweier komplett unterschiedlich verlaufender Lebensbahnen kennzeichnet. Denn noch bevor die Geschwister sich auf den Rückweg machen können, verliert der extrem kurzsichtige, jüngere Bruder im verschneiten Wald die Spur des Älteren, der daraufhin verschwindet.

An dieser Stelle springt die Geschichte zur Sowjetunion der Nachkriegszeit im Jahr 1953. Der Staatssicherheitsbeamter Leo Demidow scheint ein aufsteigender Stern auf der Karriereleiter des Ministeriums zu sein, dessen einziger Makel die Kinderlosigkeit seiner Ehe mit der Grundschullehrerin Raissa ist. Zwei kurz hintereinander auftretende Einsätze ebnen so dann weitere Zweifel an dem scheinbar heilen System in dem er und seine Partnerin leben. Zuerst besucht er die Familie eines Arbeitskollegen, die ihren toten Sohn betrauern – dieser soll, da es in der Sowjetunion keine Verbrechen gibt, entgegen dem Anschein und Zeugenaussagen nicht mit Erde im Mund von einem Menschen mit einem Messer ermordet, sondern beim Spielen in der Nähe von Bahngleisen von einem Zug erfasst und tödlich verletzt worden sein. Unmittelbar darauf leitet der Protagonist die Suche nach einem Veterinär ein, welcher eine Praxis in der Nähe der Moskauer US-Botschaft betrieb und aus diesem Grund als verdächtig gilt. Aufgespürt auf halben Weg zur finnischen Grenze vermag Leo unter Einsatz seines eigenen Lebens den Tod des Mannes in einem zugefrorenen Fluss zu verhindern, jedoch nicht, dass wenig später der Fluchthelfer des Veterinär Mediziners samt deren Frau, vor den Augen der eigenen zwei Töchter, von dem wiederum Leo begleitenden und ihm gegenüber missgünstig eingestellten, Offizier Valentin, zur Erzeugung von Angst bei den restlichen Dorfbewohnern erschossen werden.

Zurück in der Lubjanka erlebt man die Befragung des Gefangenen, der allerdings leugnet jegliche antirevolutionären Taten begangen zu haben – jedoch unter Folter Namen vermeintlicher Mitwisser preisgibt, Namen, welche Leo als belanglose Patientenherrchen der Tierarztpraxis wiedererkennt.
Da in dem kommunistischen System der Wahrheit aber selten Zoll gezahlt wird, nutzt Valentin die Gunst der Stunde beziehungsweise Situation, um weitere Intrigen gegen seinen ‘Widersacher’ Leo zu spinnen, die zur direkten Folge haben, dass der Ermittler in eine abgelegene Dienstelle der Miliz der Provinz Rostov versetzt wird. Schnell involviert sich Leo, so dass er zu den Ermittlungen eines brisanten Falls, hinzugezogen wird: Eine Vierzehnjährige wurde ermordet, deren Tod man einem ‘schwachsinnigen’ Jugendlichen aus dem örtlichen Waisenheim zuschreibt, wobei Leo aus den Indizien die Modus-operandi-Ähnlichkeiten mit dem Fall des Sohnes seines Arbeitskollegen erkennt und beginnt, an eine Mordserie zu glauben. Was aufgrund der politisch angespannten Atmosphäre dem erzeugten Spannungsaufbau sehr förderlich ist.

Zusammen mit einem Leo positiv gesinnten General begibt sich der Leutnant schließlich eigenständig auf eine Spurensuche die Beweise dafür erbringen soll, dass in der Tat ein Serienmörder entlang von Bahnstrecken rund um Moskau sein Unwesen treiben muss. Die Beiden stoßen im Laufe ihrer Untersuchungen auf insgesamt mehr als fünfzig Verdachtsfälle – der Moskauer Fall ist das Titelgebende ‘Kind 44′ – und können den Kreis der infrage kommenden Schuldigen auf eine Angestelltenart einer bestimmten Institution begrenzen.
Letztendlich schafft es Leo den Täter aufzuspüren und im Haus desgleichen kommt es, im Gegensatz zu den ansonsten gut zur Politik passenden, distanziert, entfremdet dargestellten Charakteren, zu einem emotional tragischen Finale.

Im Epilog wird Leo zudem, begünstigt durch den Tod von Josef Stalin und der damit einhergehenden Säuberung des Polizeiapparats des alten Systems, vollständig rehabilitiert, wünscht sich und erlangt die Erlaubnis, eine Miliz-Sondereinheit zur Ermittlung in Mordfällen zu gründen. Denn wenngleich es in der UdSSR kein Verbrechen gibt, so müssen doch die vom Systemfeind verwirrten und so zu den Taten getriebenen Personen ermittelt und im Namen der Revolution festgesetzt werden.

Zu diesem politischen Klima passt ausgesprochen gut der gar trockene Schreibstil des Romans und die Kernaussage (neben der pauschalen Kritik am Kommunismus), dass es im Prinzip immer zwei Seiten der Medaille gibt beziehungsweise es an der persönlichen getroffenen Entscheidung liegt, wie man mit unveränderbaren Gegebenheiten des Lebens umgeht und welchen Weg man letzten Endes für sich selbst wählt. Die zusammenlaufenden einzelnen Handlungsstränge fließen ebenso positiv in das Buch ein, wie generell die authentische Darstellung der Umwelt, die Machtinteressen der damaligen Zeit und die Landschaftsumrisse. Auch die Tatsache, dass die Geschichte entfernt an die Realität des ‘Schlächters von Rostow’ angelehnt ist, allerdings 25 Jahre früher spielt, ist ein interessantes Merkmal. Daher ist das Werk meiner Meinung nach, durchaus Lesens,- sowie Empfehlenswert.

Wertung: 4/7 Schreibfedern
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